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Patrik-Ludwig Hantzsch
Pressesprecher
Leiter Wirtschaftsforschung
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Zwölf Monate Coronavirus in Deutschland haben die Arbeitswelt verändert. 2020 haben hier doppelt so viele Menschen von zu Hause oder von unterwegs gearbeitet wie 2019. Es funktioniert. Wäre da nicht die Sehnsucht nach Kaffeeküche, Klatsch und Kollegen. Wie könnte also die (Büro-)Arbeitswelt nach Corona aussehen?
Mussten die meisten Unternehmen im Frühjahr 2020 ziemlich schnell und chaotisch lernen, wie die Arbeit im Homeoffice oder Mobile Office funktioniert, ist inzwischen so etwas wie Routine eingekehrt. Unternehmen und Mitarbeiter sprechen sogar überwiegend positiv über ihre Erfahrungen mit dem verteilten Arbeiten. Sechs von zehn Beschäftigten geben laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) an, im Homeoffice sogar effizienter zu arbeiten als im Büro. „Das gilt vorwiegend für die ersten Monate im Frühjahrs-Lockdown“, erklärt Dr. Wolfgang Freibichler, Partner bei der Managementberatung Porsche Consulting. „Im zweiten halben Jahr Homeoffice aber haben manche gespürt, dass ihr Büro für sie nicht nur ein Platz ist, wo ihr Schreibtisch steht, sondern vielmehr ein Ort des sozialen Miteinanders.“ Der Plausch mit Kollegen in der Kantine, die Diskussionen auf dem Flur übers Fußballspiel am Vorabend oder die Zensuren der Kinder – das gehört für viele Menschen zum Berufsleben. Genauso wie inzwischen Zoom, Slack und Teams. Die Zukunft der Arbeit – nach Corona wohlgemerkt - könnte deshalb hybrid sein.
Flexdesks: Schreibtisch per Klick buchen
Hamburg, Hafencity. In den Büros von Exporo, einem Fintech, über dessen Plattform Privatanleger mithilfe von Blockchain-Technologie schon ab einem Euro in Immobilien investieren können, gibt es keine festen Arbeitsplätze mehr, sondern nur noch sogenannte „Flexdesks“. Alle 180 Mitarbeiter sind mit Laptop und Smartphone ausgestattet, arbeiten mit diversen cloudbasierten Tools. Wer trotzdem ins Büro kommen möchte, bucht sich auf den als grafische Oberfläche dargestellten Etagenplänen mit wenigen Klicks einen Schreibtisch – für eine Stunde, einen Tag oder länger. „So kann sich jeder Mitarbeiter seine eigene hybride Arbeitswelt kreieren“, erklärt Personalchefin Manon Schröder. „Und wir schaffen Transparenz, welche Schreibtische wann belegt sind.“ Über die Suchfunktion kann zudem jeder Mitarbeiter leicht gefunden werden. Auch feste Arbeitszeiten sind abgeschafft. Die Leistungen der Mitarbeiter werden an den Resultaten gemessen. „Eine agile und mitdenkende Belegschaft braucht Freiräume“, ist Schröder überzeugt. Aber auch Zusammenhalt und Interaktion. Dafür findet jeden zweiten Montag ein Videocall statt, an dem alle teilnehmen: „So treffen wir uns live, obwohl viele von uns zu Hause sitzen.“ Ebenfalls dem Austausch dienen neu entwickelte Formate, etwa der Random Lunch: Drei Leute unterschiedlicher Organisationsebenen werden ausgelost, gemeinsam mittagzuessen. „Da sitzen dann möglicherweise Vorstand und Auszubildende für 60 Minuten zusammen, aktuell natürlich nur via Bildschirm, und plaudern über dies und das“, sagt die HR-Chefin. Auch Lernformate, etwa von Mitarbeitern für Mitarbeiter, gibt es jetzt im Hybridformat. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit. Teilnehmerquote: 50 Prozent. Manon Schröder: „Man spürt, dass der Wunsch nach Zusammenarbeit enorm groß ist.“
„Eine agile und mitdenkende Belegschaft braucht Freiräume.“
Manon Schröder, Exporo
Das bestätigt Wolfgang Freibichler. Er sieht Vorteile auch für die Betriebe: „Gerade zufällige Begegnungen im Unternehmen fördern interessante Gespräche über Berufliches – mit neuem Blickwinkel.“ Nicht selten entstünden daraus Anstöße, die das Geschäft voranbringen. Der Experte für Unternehmensorganisation und Führung empfiehlt Unternehmen „Nudges“, also Anstöße für freie Entfaltung: „Ein Spaziergang nach dem Mittagessen und dabei ein dienstliches Thema besprechen, kann effektiver sein als ein steifes formales Meeting im Konferenzraum.“ Ähnliches rät Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen: „Der persönliche Kontakt untereinander schafft eine Dynamik und Innovationskraft, die Videokonferenzen nicht ersetzen können.“
Der Remote-Knoten ist geplatzt
Ohne Technologie geht es aber auch nicht mehr. Nachdem lange Zeit in Deutschland über Digitalisierung und Remote Work fast nur gesprochen wurde, ist in der Pandemie „der Knoten endlich geplatzt“, sagt Jerome Güls, Consultant bei der auf Interim-Management spezialisierten Personalberatung Management Angels. „Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Monaten extrem gewandelt.“ Quasi über Nacht seien vielerorts technische Infrastrukturen cloudbasiert aufgestellt und Mitarbeiter mit Laptops und Smartphones ausgestattet worden, damit diese von überall auf Unternehmenssysteme und -dateien zugreifen können. „Vieles aus der Not heraus Geborene wird bleiben und in so manchem Bereich positiv wirken“, ist sich Güls sicher.
Im Vorteil seien jetzt Betriebe, die schon vor Corona neue Arbeitsformen ausprobiert hätten. Stichwort: New Work. Der Begriff umfasst Arbeitsformen, die Konzentration, Kreativität, Kommunikation, Kooperation und Kontemplation fördern. Jerome Güls nennt als Vorreiter etwa die Stuttgarter Internetstores Group, einen Onlinehändler von Fahrrädern, Sportkleidung und Outdoor-Ausrüstung: „Weil hier viele digitalisierte Wege bereits vorhanden waren, ist das Unternehmen problemlos durch die Krise gekommen.“ Die einstige Büroanwesenheitspflicht wurde in der 400-Mitarbeiter-Company schon im März aufgehoben; und auch nach Corona sollen alle Office-Beschäftigten wöchentlich vier Remote-Work-Tage nehmen können. Allerdings gibt es Richtlinien. So muss jeder Mitarbeiter zwischen 10 und 15 Uhr über das Kommunikations-Tool Teams erreichbar sein. Personalchef Nils Pollex sagt: „So eine hybride Arbeitswelt funktioniert nur, wenn man deutlich mehr und aktiver kommuniziert.“ Auch Andreas Lober, als Interim-Manager im Kundenservice bei den Schwaben an drei Standorten im Einsatz, pflegt im Remote-Work-Modus engen Online-Kontakt: „Wenn man mehr spricht, mehr nachfragt, funktionieren Führung und Coaching auch so.“ Er ist überzeugt, dass die Krise die Offenheit und das Vertrauen zwischen Management und Mitarbeitern gestärkt hat: „Die gegenseitige Akzeptanz ist gewachsen.“
Objectives & Key Results (OKR): Wie Führen auf Distanz zum Erfolg wird
Führen auf Distanz funktioniert auch in der Marketingagentur Content Fleet sehr gut. „Wir arbeiten seit dem Pandemieausbruch hybrid – und das wird auch so bleiben“, sagt Geschäftsführer Philip Dipner. Dafür wurde im Herbst ein neues Führungsinstrument für das 140-Mitarbeiter-Unternehmen implementiert: Objectives & Key Results (OKR). Statt wie früher im Büro die Arbeitszeit, den Projektfortschritt und das Engagement der Mitarbeiter zu kontrollieren, werden jetzt gemeinsam im Team Monatsziele festgelegt. „Dabei ist es egal, wo und wann ein Kollege arbeitet, nur das Ergebnis zählt“, erläutert Dipner die Philosophie. „Die Mitarbeiter müssen lernen, Ergebnisse eigenverantwortlich zu liefern, für die Führungskräfte wächst der Coaching-Anteil.“
Eine besondere Herausforderung für ihn und seine Geschäftsführungskollegen sei, „zu identifizieren, welche Vorteile aus Remote Work wir langfristig konservieren können und welche Nachteile kompensiert werden müssen“. Um der Individualität der Jobs gerecht zu werden, wird für jede Position der Anteil der sogenannten „Stillarbeit“, die auch zu Hause erledigt werden kann, definiert und ermittelt. Für die übrigen Tätigkeiten, etwa Brainstorming oder die Entwicklung von Ideen und Strategien, die nur in der Gruppe sinnvoll umsetzbar sind, werden in der Zentrale neue Kreativräume konzipiert. Wie bei Exporo wird auch bei Content Fleet die Organisation der flexiblen Schreibtischwahl durch Buchungstools unterstützt.
Dipners Erkenntnis aus den Krisenmonaten: „Flexibles Arbeiten erhöht die Effizienz und Mitarbeiterbindung. Ein Unternehmen, das sich offen zeigt für neue Arbeitsformen, ist für Arbeitnehmer attraktiv.“ Die aber wollen nicht nur wählen können, wo und wann sie arbeiten, sondern auch mehr eigene Ideen einbringen. Jeder zweite von Porsche Consulting Befragte wünscht sich täglich mindestens eine Stunde, in der er in Ruhe nachdenken, Ideen formen und planen kann. Das allerdings funktioniert nur, wenn die Vorgesetzten mitmachen und ausreichend Freiraum zur Verfügung steht. Beides sei in vielen Betrieben nicht der Fall, sagen die Studien-Macher. Sie stellen klar: Arbeiten unter einem Patriarchen und im Hamsterrad behindert Kreativität und Innovationskraft. Auch firmenkulturelle Hürden gibt es, etwa die „Blame“-Kultur, in der Menschen weder Verantwortung noch Initiative übernehmen wollen, weil Fehler angeprangert und sanktioniert werden. Exporo-HR-Chefin Schröder: „Man führt heute ein Unternehmen nicht mehr wie vor drei Jahren.“ In den zurückliegenden Corona-Monaten hätten hier viele Unternehmer dazugelernt: „Und das wird bleiben.“
Auch in Handwerksbetrieben hat Corona die Welt verändert
In der BMWi-Befragung geben 36 Prozent der Berufstätigen an, künftig mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit von zu Hause aus arbeiten zu wollen. Bei gewerblichen Arbeitnehmern und Handwerkern ist der Anteil naturgemäß niedriger. Wie soll ein Gabelstaplerfahrer oder Dachdecker von zu Hause aus Geld verdienen? Und doch hat Corona auch in Handwerksbetrieben die Arbeitswelt verändert.
Ein Blick nach München: Die 50 Techniker und Bauleiter der GES – Gesellschaft für Elektro- und Sicherheitstechnik sind den Großteil ihrer Arbeitszeit auf Baustellen. Alle haben mittlerweile neben Klemme und Zange ein Notebook bei sich, in den der Mitarbeiter den Arbeitsbericht eingibt. „So können Handwerker und Kunde gleich vor Ort Auftrag und Ausführung abgleichen und den Bericht unterschreiben“, erklärt Prokurist Heiko Hotze. Vorteile: höhere Transparenz und schnellere Abrechnung. Seine 14 Büromitarbeiter lässt Hotze in zwei Gruppen umschichtig zu Hause arbeiten: „Unsere Geschäftspartner und Kunden wissen das, haben sich darauf eingestellt.“ Die Homeoffice-Mitarbeiter bekommen zehn Euro pro Woche als Kostenzuschuss für Strom- und Wasserverbrauch. „Sie arbeiten zu Hause effizienter“, hat der Geschäftsführer festgestellt. Er will die Neuerungen auch nach Corona beibehalten und weiter ausbauen. So soll die ERP-Struktur der Firma komplett digitalisiert werden: „2020 war für uns ein ungeplanter großer Feldversuch. Die Krise hat dazu geführt, dass wir, aber auch andere Firmen, im Eiltempo Infrastrukturen aufgebaut haben.“ Das versetze GES ist die Lage, künftig flexibler zu agieren: „Und das macht auch einen Handwerksbetrieb wie uns widerstandsfähiger.“
Drei Fragen an ...
... Tanja Becker. Die Lufthansa-Pilotin, Beraterin, Coachin und Mitgründerin des Hamburger Startups Jetlite spricht über Führung und Kommunikation: Wie Unternehmer in Stresssituationen Entscheidungen treffen können.
Was können Unternehmen von den Entscheidungsprozessen im Flugzeugcockpit lernen?
Seit den 1980er-Jahren verfolgen wir ein klares Konzept. Es ist eine Hilfe für strukturierte, zeitkritische und dynamische Entscheidungsfindung. Piloten trainieren die Entscheidungsstruktur, die auf objektiven Methoden unter Berücksichtigung von Erfahrungen beruht, von der ersten Flugstunde an. Das müssten Unternehmen auch tun, dann könnten viele Fehlentscheidungen vermieden werden.
Was ist eine „gute“ Entscheidung einer Führungskraft?
Das ist eine, die wir auch im Nachhinein unter den gegebenen Voraussetzungen wieder treffen würden. Dafür müssen aus unterschiedlichen Perspektiven möglichst viele Fakten eingebunden werden. Wertfrei. Dann sollten Vor- und Nachteile der für die Problemlösung möglichen Optionen sachlich abgewogen werden.
Was ändert sich durch New Work an den Entscheidungsprozessen in Unternehmen?
Digitalisierung und Remote Work können die menschliche Begegnung nicht ersetzen, denn Kommunikation ist immer auch nonverbal. Mimik und Gestik beispielsweise kann bisher noch kein Tool ausreichend auffangen. Bei verteiltem Arbeiten müssen Führungskräfte deutlich mehr erklären und nachfragen, Entscheidungen müssen ausführlich und stichhaltig argumentiert werden, um Missinterpretation zu verhindern. Das gilt besonders für neue Teams, bei denen der Forming-Prozess noch nicht abgeschlossen ist.
Millionen potenzielle neue Angriffspunkte
Welche Anforderungen die hybride Arbeitswelt an die IT-Sicherheit stellt.
Für die IT-Abteilungen bedeutet verteiltes Arbeiten erhöhte Sicherheitsanforderungen. „Wenn halb Deutschland zu Hause und unterwegs arbeitet, sind das für Cybergangster Millionen potenzielle neue Angriffspunkte“, stellt Sascha Martens klar, CTO des IT-Security-Herstellers Mateso. „Häufig werden Laptop und Smartphone im selben Netzwerk betrieben wie der Smart TV, dessen Software-Updates aber meist ignoriert werden.“ Martens rät, im Web strikt Privates und Geschäftliches zu trennen. „Auch nicht verknüpft sein sollten Zugangssicherungen zum Microsoft-Account und zu Cloud-Diensten.“ Letztere seien oft nicht gut geschützt. IT-Sicherheitsvorgaben von Unternehmen sollten gerade in New-Work-Zeiten beibehalten werden. „Und wenn es vier Authentifizierungs-Schlüssel sind, die der User verwenden muss.“ Das schränke zwar den Komfort eines Mobile Devices für berufliche Zwecke ein, Sicherheit gehe aber vor: „Passwörter sind auch künftig zentrale Bausteine der IT-Security. Sie sollten deshalb zentral verwaltet und überwacht werden.“ Der Cybersecurity-Experte betont die zunehmende Professionalität der Web-Kriminellen: „Einige Hacker recherchieren vor ihren Attacken, was das Unternehmen, das sie im Visier haben, umsetzt und verdient.“ Danach wird die Höhe der Lösegeldsumme festgelegt. Martens: „Ein Mittelständler wird dann beispielsweise um 50.000 Euro erpresst, ein Großunternehmen um 500.000 Euro.“
Quelle: Magazin "Creditreform"
Text: Jürgen Hoffmann
Patrik-Ludwig Hantzsch
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