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Politischer Wunsch vs. wirtschaftliche Realität

Die erste Hälfte des Jahres 2023 ist vorüber und damit ein guter Moment, vor der Sommerpause einen Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Erwartungen zu werfen.

Bevor noch die amtlichen Ergebnisse zur Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes im zweiten Quartal vorliegen, ist bereits festzuhalten, dass das Winterhalbjahr von Oktober 2022 bis Ende März 2023 eine Rezession gebracht hat.

Auch wenn das Minus bei der gesamtwirtschaftlichen Leistung, wie sie das BIP zusammenfasst, nur gering ausgefallen ist, bleibt doch mit Ernüchterung festzuhalten, dass sich die vielen Krisen seit Beginn der 20er Jahre schließlich doch negativ auf die wirtschaftliche Leistung ausgewirkt haben. Während die Corona-Pandemie wohl ihren Schrecken verloren hat, sorgen der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelösten Spannungen zwischen den Machtblöcken weiter für Dämpfungen in der Konjunktur. Dies geschieht einmal ganz direkt durch eine Vielzahl von Handelsbeschränkungen und Sanktionen, indirekt aber auch durch die Verschlechterung der Stimmungslage. Von einer „Friedensdividende“ kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein.

Gedämpfter Ausblick

Wie schätzen die Politik, Verbände und Wirtschaftsforschungsinstitute die weitere Entwicklung in diesem und im nächsten Jahr ein? Dabei bleibt festzuhalten, dass Prognosen im Laufe der Zeit immer wieder korrigiert werden – gerade die jüngste Vergangenheit hat dies einmal mehr gezeigt. Zu beachten ist aber auch, dass der Zeitpunkt dieser Prognose durchaus unterschiedlich gesetzt werden kann. Insgesamt weichen die Annahmen für das BIP bis zum Jahresende nicht sehr stark voneinander ab. Für das Gesamtjahr 2023 sehen die Bundesregierung, die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds ein Plus zwischen 0,2 und 0,4 Prozent. Nun sind diese Institutionen als politische Akteure geradezu zu einem „Berufsoptimismus verpflichtet – undenkbar, dass sich eine Bundesregierung zu negativen Erwartungen gedrängt sähe. Aber auch das Institut der deutschen Wirtschaft sowie das Institut für Wirtschaftsforschung (Halle) sehen mit plus 0,25 bzw. plus 0,4 Prozent noch einen Silberstreifen. Dabei ist allerdings anzumerken, dass diese Aussagen vom März stammen und die flaue Entwicklung im zweiten Quartal noch nicht bekannt war. Auch die Bewertung des Sachverständigenrates mit plus 0,2 Prozent sowie die Gemeinschaftsdiagnose der Forschungsinstitute mit plus 0,3 Prozent waren im März bzw. April 2023 zeitlich früh angesiedelt.

Die meisten Forschungsinstitute publizieren ihre Aussagen zur wirtschaftlichen Entwicklung kontinuierlich und oft auch monatlich. Damit können sie im Juni mit einem entsprechend fundierten längeren Rückblick wohl auch validerer Aussagen machen. Genau diese sind allerdings eher negativ. So sprachen das Institut für Makroökonomie (IMK) und das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut von einem Minus in Höhe von 0,5 Prozent. Auch das IWH in Halle, das IfW in Kiel, das RWI und schließlich das ifo Institut gehen von einem mehr oder minder deutlichen Minus zwischen 0,3 und 0,5 Prozent aus. Die Bundesbank sprach in ihrer jüngsten Prognose von Ende Juni von minus 0,3 Prozent für das BIP im Jahr 2023 in Deutschland.

ifo: Aktuell deutliche Eintrübung

Die bekannteste Publikation zur aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen stellt wohl der ifo Geschäftsklimaindex dar. Am 26. Juni ließ das Münchner Forschungsinstitut verlauten: „Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft hat sich merklich eingetrübt“. Der Index war im Juni von 91,5 auf 88,5 Punkte gefallen. Sorgen macht den Forschern vor allem die Entwicklung in der deutschen Industrie. Der Index, zusammengesetzt aus den Aussagen zur aktuellen Lage und den Erwartungen, war vor allem bei den Erwartungen deutlich gefallen – und damit zurück auf dem Stand von November 2022. Auf der Basis eines mageren Auftragsbestandes wurde auch die aktuelle Lage schwächer beurteilt. Aber nicht nur das Verarbeitende Gewerbe macht negative Aussagen zu seiner wirtschaftlichen Lage, auch die anderen Wirtschaftsbereiche geben ein schwaches Votum ab. Immerhin weist der Handel bei den Erwartungen eine leichte Verbesserung auf. Insgesamt sind es die Erwartungen, deren Eintrübung wenig Gutes für das Bruttoinlandsprodukt des Gesamtjahres prognostizieren lässt.

Bundesbank wenig optimistisch

Konnte die Bundesbank bei ihren Projektionen im Dezember noch verlauten lassen „trotz Energiekrise kein schwerer Wirtschaftseinbruch“, so titelt sie nun: „Wirtschaft erholt sich nur mühsam“. Das hat nach Aussage der Zentralbank vor allem mit der Inflation, aber auch den gegenläufigen Zinserhöhungen zu tun. So dämpft die starke Teuerung die Konsumlust der Deutschen, aber auch die Motivation für den privaten Wohnungsbau. Auch wenn sich die Zahlen zu den monatlichen Inflationsraten gebessert haben, ist ein Ende der Teuerung noch nicht abzusehen. Teurer werden aber nicht nur Waren und Dienstleistungen, sondern – zusätzlich forciert durch den Fachkräftemangel – auch die Löhne für die Unternehmen. Zusammen mit dem stärkeren Euro aber sorgen die teureren Güter für Probleme beim Export.

Bisher war die Stabilität des Arbeitsmarktes trotz der Krise eine Trumpfkarte der Regierung. Nun zeigen sich auch hier nach Aussage der Bundesbank erste kleine Risse. Die Einstellungsabsichten der Unternehmen sind angesichts der höheren Lohnkosten ein wenig zurückgenommen worden. Insgesamt geht man jedoch davon aus, dass die Arbeitslosigkeit nach 2023 wieder abnimmt und schließlich auf den sehr guten Stand von 2019 zurückkehrt. Die Bundesbank sieht für 2024 ein Plus beim BIP von 1,2 Prozent.

Hoffnungsvoll sind unisono die Aussagen von Politik und Forschung zum BIP im Jahr 2024. Ein Minus nennt keiner der an den Prognosen Beteiligten – die Bundesbank ist da mit einem Plus von 1,2 Prozent noch eher zurückhaltend. So setzen das Institut für Wirtschaftsforschung (Halle) mit 1,7 Prozent Wachstum und das RWI mit sogar 1,9 Prozent Plus am stärksten auf eine breite Erholung der deutschen Wirtschaft im nächsten Jahr. Voraussetzung dafür ist natürlich, die weltweiten Spannungen – aber auch ganz konkret den Krieg in Osteuropa – nicht weiter eskalieren zu lassen, sondern den Gedanken an eine Globalisierung im Zeichen friedlicher Koexistenz wieder mit Leben zu erfüllen.

Quellen: Deutsche Bundesregierung, Deutsche Bundesbank, Europäische Kommission, HWWI, ifo Institut, IfW Kiel, IMK, IW, IWF, IWH, RWI